Manchmal schäme ich mich meiner Berliner Wahlheimat. Aktuell verbreitet sich die Nachricht, dass die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg das Wort “Religion” aus dem Kriterienkatalog zur Verleihung der Bezirksmedaille gestrichen hat. Bereits im Februar. Auf Antrag der Piraten. Zeitgleich mit der Einführung der Unisex-Toiletten. Da hatte die Freibeuterpartei wohl gerade eine besonders kreative Phase.
Künftig wird mit der Bezirksmedaille nur noch ausgezeichnet, wer sich “durch ein herausragendes Engagement über einen längeren Zeitraum in Gesellschaftsbereichen wie zum Beispiel Jugend und Familie, Kultur, Soziales, Sport, Umwelt, Entwicklung, Innovation, Wirtschaft und ein friedliches Miteinander verdient gemacht” hat. Religion, früher zwischen Sport und Umwelt aufgelistet, ist rausgefallen.
Zwar können, so berichtet der Tagesspiegel unter Berufung auf die Piraten-Fraktionschefin Jessica Zinn, weiterhin kirchlich engagierte Menschen ausgezeichnet werden – wenn sie anderweitig unter den Kriterienkatalog fallen, etwa im Bereich Soziales oder Kultur. Doch die Botschaft ist klar: Wenn Ihr Eure Religion nicht in unser Kategoriensystem einpasst, habt Ihr Pech. Wir haben die Deutungshoheit darüber, was für die Gesellschaft wichtig ist und was nicht. Basta.
Man weiß gar nicht, worüber man zuerst sprachlos sein soll.
Über die totalitären Fantasien einer Partei von Nerds, Computerspielern und alternativen Großstadtgewächsen, die für sich in Anspruch nehmen, die Welt zu erklären und ihre Erklärung allen anderen aufzudrücken? Liebe Piraten: die Welt ist – selbst in Kreuzberg – größer als World of Warcraft und die vegane Kiezkneipe am Kotti.
Über die in der BZ mitgeteilte lapidare Begründung, Religion “passe nicht zu Friedrichshain-Kreuzberg”? Gewiss, liebe Piraten: die Islamisten am Nil, noch so eine Graswurzelbewegung, sind in diesen Tagen ebenfalls der Meinung, die Kopten passten nicht zu Ägypten.
Darüber, dass statt “Religion” klammheimlich “ein friedliches Miteinander” neu in den Katalog aufgenommen wurde? Damit, liebe Piraten, habt Ihr nun ein für allemal klargemacht, dass es in Eurer Welt um den Menschen geht und um nichts als den Menschen, und dass Mitbürger, denen es um Denjenigen geht, der größer ist als alle Kreaturen, in Eurer Welt nicht vorgesehen sind.
Oder etwa darüber, dass SPD, Grüne und Linke gehorsam für den Piratenantrag gestimmt haben? Dass sich einige SPD-Verordnete, wie man dem Protokoll der Piraten-Fraktionssitzung vom 4. März entnehmen kann, sogar für den Antrag bedankt haben? Ja, liebe Piraten: das gefällt Euch digitalen Weltregenten der Zukunft wohl am allerbesten, von den Blockparteien heute schon hofiert zu werden.
Ich hoffe, Euch Freibeutern auf dem Schiff der Kirche nicht demnächst mit dem Rosenkranz in der Hand auf der Skalitzer Straße zu begegnen. Würdet Ihr mich wohl dezent darauf aufmerksam machen, dass ich nicht in die Kiezkultur passe? Sicherlich würdet Ihr mir jedenfalls nicht die Bezirksmedaille verleihen. Dabei hätte Euer Bezirk das inständige Gebet unvergleichlich viel nötiger als so manche Eurer medaillenbedachten Aktionen.
Und nun, Seeräuberfreunde, husch, husch zurück an den Rechner. Da kommt Euch sicher bald die nächste blendende Idee zur Verbesserung der Welt. Und nach ein paar Stunden World-of-Warcraft-Gezocke wäre vielleicht der knappe Kommentar noch besser am Platz, mit dem Ihr in Eurem Sitzungsprotokoll (sozusagen im Offline-Gamer-Modus) den Tagesordnungspunkt “Auswertung der letzten BVV-Sitzung” abschließend behandelt:
“War geil.”