Während der Protz-Papst aus Argentinien inzwischen ein ganzes Stockwerk des Domus Sanctae Marthae für sich requiriert, sieht die Realität in Lateinamerika ganz anders aus.
Nehmen wir den Blumenzüchter José. Eine ganze Hoteletage zu blockieren und nebendran einen Apostolischen Palast leerstehen zu lassen, davon kann der 79jährige nur träumen. Für ihn reicht es gerade so zum Überleben. Vierzehn Jahre hat er im Gefängnis gesessen – “politische Repression”, murmelt der von den langen Entbehrungen sichtbar gezeichnete Greis in seinem weichen rioplatensischen Spanisch.
José ist Atheist. Die 27.000 uruguayischen Peso (ca. 920 Euro), die er im Monat verdient, lassen keinen Raum für Hoffnung, sagt der siebenfache Familienvater. Letztes Jahr wurde sein Blumengeschäft von zwei katholischen Priestern überfallen. Als er bei der Polizei Anzeige erstatten wollte, vergewaltigten die Beamten stattdessen seine Enkelin und sperrten zwei seiner Söhne ins Gefängnis. “Alles korrupt hier”, nuschelt José mit trauriger Stimme. Seit den Ereignissen ist er ein gebrochener Mann. Um nicht völlig zu verhungern, musste er sich aufs Spinnen von Seemannsgarn verlegen.
Besuchern erzählt er gerne die folgende Geschichte:
Er sei eigentlich gar kein Blumenzüchter, sondern der Präsident persönlich. Entsprechend der neuen Mode habe er sein Geld den Armen geschenkt, aber weil das zuerst niemand gemerkt habe, ziehe er nun extra labbrige Hosen und kunstvoll verschlissene Jacken an. Wegen seiner Armut werde er von seinem Volk geliebt. Insbesondere werde er geliebt, weil alle so über ihn lachen könnten, der viel schäbiger aussähe als der elendste Bettler, und das, obwohl er immerhin 27.000 Peso (ca. 920 Euro) monatlich verdiene – kaufkraftbereinigt in Deutschland ca. 1500 Euro – und davon nicht einmal Frau und Kinder versorgen müsse.
José ist das Gespött egal. Den Einwand, es gäbe in Berlin Blogger, die weniger als 1500 Euro verdienten und trotzdem nicht in Lumpen herumliefen, lässt er nicht gelten. “Darum geht es nicht”, sagt er mit einem Funkeln in den Augen und plötzlich erstaunlich fester Stimme. “Es geht sowohl um die Mitarbeit, um die strukturellen Ursachen der Armut zu beheben und die ganzheitliche Entwicklung der Armen zu fördern, als auch die einfachsten und täglichen Gesten der Solidarität angesichts des ganz konkreten Elends, dem wir begegnen. Das Wort »Solidarität« hat sich ein wenig abgenutzt und wird manchmal falsch interpretiert, doch es bezeichnet viel mehr als einige gelegentliche großherzige Taten. Es erfordert, eine neue Mentalität zu schaffen, die in den Begriffen der Gemeinschaft und des Vorrangs des Lebens aller gegenüber der Aneignung der Güter durch einige wenige denkt.”
Wenn José solche Sätze von sich gibt, möchte man ihm die Geschichte mit dem Präsidenten fast glauben. Als Kandidat des Linksbündnisses Frente Amplio habe er 2009 die Wahlen in Uruguay gewonnen, erzählt er. Doch genaueres erfährt man nicht. Ebenso stehen Vorwürfe im Raum, er habe seine wohltönenden Reden in Wirklichkeit von einem Argentinier abgeschrieben. Fragt man ihn danach, wird er schmallippig: “Ich, der Blumenzüchter José? Ich habe gewiss nicht das Geld, teure Bücher zu lesen – oder gar eine ganze Hoteletage für mich zu requirieren, junger Mann!” – Überdies sei er Atheist und stamme von armen Basken ab. Dann schneuzt er sich geräuschvoll in seinen Ärmel und geht wieder zum Regieren.
Eine traurige Existenz.
Dem Protz-Papst in Rom ist das egal. “Buonasera”, sagt er und wirft dem Volk einige Perlen hin. Von jeder einzelnen von ihnen könnte José fünf Jahre lang leben.