In der politischen Debatte um die Sterbehilfe ist Peter Hintze einer derjenigen, die für eine vorsichtige Liberalisierung plädieren. Ich möchte an dieser Stelle inhaltlich nichts dazu sagen. Ich wundere mich allerdings über die seltsame Theologie, die der evangelische Theologe Hintze jüngst im Bundestag von sich gegeben hat.
Leiden sei “immer sinnlos”, sagt er. Zur Erläuterung zitiert er nicht etwa Camus oder Sartre, sondern ausgerechnet die Offenbarung des Johannes, wo es heißt, dass es “kein Leid, kein Geschrei, keinen Schmerz” mehr geben werde. Und Hintze schließt: “Das ist die biblische Vision: kein Leid, kein Geschrei, kein Schmerz.”
Das ist nun allerdings so stark verkürzt, dass es selbst für eine fünfminütige Bundestagswortmeldung nicht mehr zulässig ist.
Die Stelle, auf die Hintze anspielt, ist Kapitel 21, 4. Der ganze Vers lautet:
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Wohlgemerkt – vor dem Leid und Geschrei und Schmerz steht ein Halbsatz, den Hintze geflissentlich unterschlägt: Der Tod wird nicht mehr sein. Deshalb ist es völlig falsch, den Tod unter Berufung auf Johannes als ein (wenn auch äußerstes) Mittel gegen das Leid ins Feld zu führen. Der Tod ist kein Mittel gegen das Leid – der Tod ist die Ursache des Leids! Er ist das übergeordnete Prinzip, aus dem alles Leid erst folgt. Er ist der letzte und härteste Feind, der von Gott besiegt wird (1. Kor 15, 26), der Inbegriff des Widergöttlichen.
Durch Christi Erlösungstat wird der Tod wird allerdings umgedeutet: er wird vom Sieg verschlungen (1. Kor 15, 54), weil der unsterbliche Gott Sich ihm Selbst unterwirft. Aus dieser Umdeutung des Todes bekommt alles irdische Leid seinen Sinn – unser Leiden ist die Vereinigung mit dem Leiden und Sterben Christi, es ist die Nachfolge des Wegs, den der HErr Selbst beschritten hat.
Unzählige Leidende, Kranke, Hungernde, Einsame, Gefolterte haben in der ganzen Kirchengeschichte aus ihrem Wissen, durch ihr Leiden mit Christus verbunden zu sein, Trost und Hoffnung geschöpft. Im Jahre 2014 aber geht ein evangelischer Theologe ans Rednerpult des Deutschen Bundestags und sagt: “Leiden ist immer sinnlos”.
Ist das nicht zynisch? Oder müssen wir eher Mitleid haben mit diesem Mann, der sieben oder acht Jahre Theologie studiert hat, Vikar war, Pfarrer war und doch nichts von der großen christlichen Hoffnung zu wissen scheint? Der aus der Apokalypse zitiert, als wäre sie ein losgelöstes Utopia, ein fernes Schlaraffenland, wo alle Menschen gut sind und das Leben angenehm ist – und nicht vielmehr eine reale Beschreibung dessen, was Christus durch Sein Leiden und Sterben bereits für uns erwirkt hat?
Im Angesicht der Ewigkeit ist nichts sinnlos. Alles, was wir hier auf Erden tun und erleiden, hat seinen Sinn. Wir kennen ihn nicht immer. Wir kennen ihn sogar nur selten. Aber wir können darauf vertrauen, dass Gott, wenn wir Ihm folgen, uns bewahren und alles gut machen wird.
Ich finde es tieftraurig, wenn ein Mensch dieses Vertrauen verliert. Peter Hintze wirft den Verfechtern eines absoluten Sterbehilfe-Verbots vor, “tiefes Misstrauen gegenüber unseren Ärzten, ja tiefes Misstrauen gegenüber uns selbst, tiefes Misstrauen gegenüber dem Menschen, der frei und selbstbestimmt sein Leben führen will” zu hegen. Ich denke aber, dass Hintze vor allem ein ganz tiefes Misstrauen gegenüber Gott hegt. Sein Misstrauen sitzt so tief, dass er sogar Gottes ärgsten Feind, den Tod, in seinen Dienst nehmen will, um das, was er für das Himmlische Jerusalem hält, bereits auf Erden herzustellen. Doch genau gegen eine solche Mentalität wendet sich Christus Mal um Mal. Das Paradies lässt sich nicht herstellen. Es wächst durch Gottes Hand – der Mensch “weiß nicht wie” (Mk 4, 27). Ein mit Gewalt hergestelltes Paradies mutiert regelmäßig zur Hölle. Die jüngere, ja selbst die allerjüngste Geschichte sind voller Beispiele dafür. Das ist der Dammbruch, den Peter Hintze nicht sehen will.
Ja, vielleicht heißt das Misstrauen gegenüber diesen selbstentworfenen Paradiesen, den Menschen zu misstrauen. Sie haben aber wahrlich seit Adams Fall nicht wenig Anlass dazu gegeben.
Gott aber bleibt treu – gestern, heute und in Ewigkeit.