Als der Vogelstrauss sich das Bein gebrochen hatte, kam der Arzt zu ihm. Der Vogelstrauss aber vergrub das Bein im Sand und fragte den Arzt: “Warum bist du denn hier?” – Der Arzt meinte: “Du hast dir dein Bein gebrochen!” – Darauf der Vogelstrauss: “Du siehst doch, ich habe gar kein Bein – wie soll ich mir etwas gebrochen haben, das ich nicht besitze?” – Da erwiderte der Arzt: “Gewiss hast du ein Bein, du hast es bloß im Sand versteckt!” – Darauf wurde der Vogelstrauss wütend und brüllte den Arzt an: “Was fällt dir ein, solche Lügen zu verbreiten! Hau ab, sonst hol ich die Polizei und zeige dich an!”
Da ging der Arzt von dannen. Der Vogelstrauss aber zog sein wundes Bein aus dem Sand und stöhnte leise.
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Gleich zweimal musste ich heute an diese Geschichte denken. Das erstemal, als ich las, dass die EU-Parlamentarier jetzt den Rating-Agenturen harsche Beschränkungen bei den Länderbewertungen auferlegen. Klaro. Man hört schließlich nicht gerne, dass vor der eigenen Haustür gekehrt werden muss. Da verjagt man lieber den Arzt, und mit etwas Glück tritt der Wundstarrkrampf erst nach der Legislaturperiode ein.
Das zweitemal dachte ich an die Geschichte, als ich las, dass es nun nach kreuznet auch gloria.tv an den Kragen gehen soll. Das Verbrechen dort: man hat den kreuznet-Nachfolger Schneeweiß-Rosenrot als “mutigen Katholiken” bezeichnet. Also berichtet Rudolf Neumaier von der SZ, die Kirche bekomme “jetzt Ärger mit der fundamental-katholischen Internetseite gloria.tv”. Und er hat recht, die Kirche bekommt tatsächlich Ärger, allerdings eher mit Gestalten wie Herrn Neumaier, für die Journalismus vor allem bedeutet, von Ereignissen zu berichten, die noch gar nicht eingetreten sind, die aber bald eintreten werden, weil ja bereits über sie berichtet wurde. Und ganz recht: Eilfertige Funktionäre von trendigen Portalen wie katholisch.de oder kirche.tv (kennt das eigentlich irgendwer?) sowie der Würzburger Studentenpfarrer stoßen eifrig mit ins Anti-Gloria-Horn und schwadronieren von “sehr radikalen Tendenzen” und “unpassenden Tonalitäten”. Klaro. Man hört schließlich nicht gerne, dass der eigene Glaube lau sei und für ein christliches Leben Umkehr vonnöten sei. Da verjagt man lieber den Arzt, und mit etwas Glück drückt der Herrgott (falls es ihn gibt) dann im Jenseits schon ein Auge zu.
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Der Vogelstrauss hatte den letzten Arzt verjagt, und es war Abend geworden. Da kam Christus selbst zu ihm. “Was willst du denn hier, Rabbi?” fragte ihn der Vogelstrauss. Christus erwiderte: “Wahrlich, ich sage dir: Wenn dich dein rechtes Bein schmerzt, so hau es ab und wirf es von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib zugrundegehe!” – Da meinte der Vogelstrauss: “Ich möchte mit solchen radikalen Tendenzen nicht in Zusammenhang gebracht werden. Allein die Tonalität passt nicht zu mir.”
Da ging Christus traurig fort.
Der Vogelstrauss aber zog sein wundes Bein aus dem Sand, stöhnte leise, dankte Gott für seine Gesundheit und starb.