Na, was geben Sie da als oberster Gauckler der schwarz-rot-senfigen Republik mal wieder für einen Mostrich von sich:
“Wir Europäer haben bis heute keinen Gründungsmythos nach Art einer Entscheidungsschlacht, in der Europa einem Feind gegenübertreten, siegen oder verlieren, aber jedenfalls seine Identität bewahren konnte.”
Nein, freilich, Entscheidungsschlachten gegen äußere Feinde hat Europa nie geschlagen, 732, 1571 und 1683 sind als besonders friedliche Jahre des interkulturellen Austauschs in die Geschichte eingegangen. Aber deswegen kein Gründungsmythos? Schonmal vom 25. Dezember 800 gehört, Herr Pfarrer? Als der finstere Papst zu Rom Ihren Vorgänger an der Staatsspitze, nein, nicht den Herrn Wulff, auch nicht den Herrn Hitler und nicht den Herrn Hindenburg, auch nicht den Herrn Friedrich oder den Herrn Wilhelm, sondern den finsteren Herrn Karl – also nicht Qualtingers Wendehals (der erinnert mich eher an, äh, Sie), sondern den echten – den Enkel von jenem Karl Martell, der sich anno 732 so friedlich in jene Geschichtsbücher manövriert hat, die Sie nie verzeichnen werden: als also der Papst diesen Herrn Karl zum Kaiser von Gottes Gnaden krönte, und das christliche Abendland (auch “Europa” genannt) mit einem Mal eine heilsgeschichtliche Bedeutung erlangte, die kein Krieg und keine Entscheidungsschlacht je liefern konnten: Römisches Reich zu sein – das Reich des Friedenskaisers Augustus und des Christenkaisers Konstantin weiterzuführen, das letzte Reich vor der Wiederkunft Christi zu sein, das universelle Reich der universellen Christenheit, die man nach Novalis bekanntlich weiterzuführen hat mit “oder Europa”.
Schon mal davon gehört?
Doch ich stimme Ihnen gerne zu, Herr Gauck: Europa hat keinen Gründungsmythos. Denn die Krönung Karls des Großen, ebenso wie die Schlachten bei Poitiers, Lepanto und am Kahlenberg, sind kein Mythos, sondern wahre Historie. Das ist eben das einzigartige am Christentum (oder an Europa): Übergeschichtliche Bedeutung mit geschichtlicher Wahrheit zu verbinden. Gott ist in die Welt gekommen, Er ist Mensch geworden, aber das ist keine Metapher, kein Mythos wie in den spätantiken Mysterienreligionen. Es ist wahrhaft geschehen. Und bleibt dennoch Mysterium. Der Himmel öffnet sich, Mythos und Faktum, Geschichte und Übergeschichte, Legende und Historie, Gottheit und Menschheit fließen ineinander. Das ist das Christentum, das ist die Gründungsgeschichte Europas.
So gesehen haben Sie also recht, Herr Präsident, Europa hat keinen Gründungsmythos. Ich würde Ihnen empfehlen, Ihren Blick da eher ins Jahr 1992 zu richten. Da wurde nämlich im niederländischen Maastricht von den europäischen Staatschefs ein Dokument unterschrieben, in dem es unter anderem heißt:
In dem Wunsch, die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken – in dem Wunsch, Demokratie und Effizienz in der Arbeit der Organe weiter zu stärken, damit diese in die Lage versetzt werden, die ihnen übertragenen Aufgaben in einem einheitlichen institutionellen Rahmen besser wahrzunehmen – entschlossen, die Stärkung und die Konvergenz ihrer Volkswirtschaften herbeizuführen und eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, die im Einklang mit diesem Vertrag eine einheitliche, stabile Währung einschließt -
Und das, lieber Herr Pastor, ist doch nun wirklich ein Mythos.