Bloggerkollege Le Penseur führt die aktuelle Sexismus-Debatte dankenswerterweise dorthin zurück, wo sie beginnen muss: zu Petrarca. Und so muss ich der Dame, die den ganzen Kladderadatsch ausgelöst hat, zunächst einmal ein Kompliment machen – und zwar nicht für ihr Aussehen (ähhhm…), sondern für etwas ganz anderes:
“Laura Himmelreich” – das ist wirklich ein wunderschöner Name.
Und hochsymbolisch dazu. Denn genauso unerreichbar wie für Petrarca seine Geliebte war, solange er dichtete, ist für uns das Himmelreich, solange wir leben. Und genauso, wie Petrarca durch seine Kunst zuletzt die Lorbeerkrone erlangte, werden wir im Himmelreich zuletzt die Krone der Herrlichkeit (1. Petr 5,4) empfangen. So ist jeder von uns unterwegs zu “Laura Himmelreich”, und unerreichbar ist sie für jeden, bis Gott selbst sie ihm schenkt.
Das gilt auch für Rainer Brüderle. Was der gute Mann gesagt und getan hat, ist sicherlich nicht der Weltuntergang, und vieles an der aktuellen Diskussion ist hoffnungslos überzogen. Dennoch: in Ordnung ist es auch nicht. Wobei vieles, was wir tun, nicht in Ordnung ist. Wenn jeder Verfehlung eine Pressekampagne folgte, würde niemand mehr die Zeitung lesen. Und auch Frau Himmelreich ist nicht ganz unschuldig, wie der Kollege hier berichtet. Aber das nur am Rande.
Was hat also Rainer Brüderle getan? Er ist sehr nahe an Laura Himmelreich herangetreten. Er hat ihren Busen angeschaut. Er hat ihr gesagt, sie könne auch ein Dirndl ausfüllen. Er hat ihr gesagt, er möchte, dass sie seine Tanzkarte annähme.
Vier Punkte, vier Deutungen.
1. Johannes der Täufer lehrt uns, dass es genau andersherum ist: “Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!” (Mt 3,2) – Brüderle aber kommt Himmelreich nahe, drängt sich geradezu auf. Und Himmelreich reagiert wie die Gralsburg – sie zieht sich zurück, wenn man sie sucht. Soll das heißen, wir sollten das Himmelreich nicht suchen? Das sei ferne. Doch wir sollten uns darüber bewusst bleiben, dass bei allem Suchen, bei all unserer Anstrengung es zuletzt doch immer das Himmelreich selbst ist, das sich uns schenkt. Wir empfangen es nur aus Gnade, mit Gewalt erreichen wir nichts. Genausowenig wie durch Stillhalten. Laura erhört weder Machos noch Feiglinge.
2. Etwas anderes als das Vorpreschen ist das Schauen. Der Schauende bleibt physisch an seinem Ort, lediglich sein Blick wandert in die Ferne. Mose durfte das Heilige Land nicht betreten, wohl aber durfte er es schauen. Wir dürfen das Himmelreich noch nicht betreten, aber wir können wir es bereits schauen: in der Liturgie, in den Ikonen, in Dichtung und Musik, im Antlitz meines Nächsten. Auch Schauen ist Gnade: Das Himmelreich müsste sich nicht zeigen, es könnte völlig unsichtbar bleiben. Doch das tut es nicht. Und was es uns zeigt, dürfen wir anschauen. Eine Laura Himmelreich, die ihre Oberweite zeigt und nicht möchte, dass sie angesehen wird – warum zeigt sie sie dann? Freilich, es gibt auch verschiedene Weisen des Schauens. Ein lüsterner Blick ist nicht zwangsläufig gut, wenn ein Blick an sich in Ordnung wäre. Selbst die Königin des Himmelreichs könnte ich lüstern ansehen, wenn Raffael sie malt. Dass das nicht gut ist, muss ich nicht eigens sagen. So wissen nur Rainer und Laura, welcher Art die Blicke waren.
3. Vielleicht hat Laura Rainers Schauen deshalb als unbotmäßig aufgefasst, weil auf das Schauen Worte folgten. Im Gegensatz zum Vorpreschen, das meistens nicht in Ordnung ist, und zum Schauen, das meistens in Ordnung ist, sind Worte ambivalent – mit ihnen kann man alles sagen, gutes wie böses. Doch was Brüderle über Himmelreich sagte, war ganz klar nicht gut. “Sie können ein Dirndl auch ausfüllen”. Mit der Anrede “Sie” spricht er Laura Himmelreich an, meint aber – totum pro parte – eigentlich ihren Busen. Mit ebensolch sinnlicher Verkürzung spricht der Muslim vom Himmelreich und meint eigentlich die Jungfrauen. Da tritt uns das Größte gegenüber, was es gibt: das Himmelreich, eine Laura, und wir reden von einem flüchtigen Moment irdischer Lust. Was in Ordnung wäre, wenn man sich kennt und höhere, größere Worte schon getauscht wurden, geht bei Fremden nicht. Und das Himmelreich ist das große Fremde, das Ganz Andere, ebenso wie mein Nächster, in dem ich jedesmal wieder neu Christus erblicken muss. Und ich möchte den sehen, der nach dem irdischen Jammertal endlich das Himmelreich betritt und spürt, wie sich alles verwandelt, alle Last abfällt, grenzenloses Licht ihn umleuchtet und nichts so ist wie vorher, sondern viel größer und unglaublicher, als er es sich jemals hätte träumen lassen, dass es überhaupt möglich sei: der in diesem Moment sagte: mein Ohr juckt. Wenn wir in jedem Mitmenschen eine Laura erkennen, dann reden wir, sowie wir ihm begegnen, nicht als erstes vom Busen.
4. Rainer kann sich zweifellos wünschen, dass Laura die Tanzkarte annimmt. Doch er sollte den Satz nicht einleiten mit den Worten: “Ich möchte, dass…” – Denn wie sagt Christus: “Von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich” (Mt 11,12). Wir sind also nun von den Taten über die Blicke und die Worte zu den Emotionen gelangt. Und die erste Emotion gegenüber dem Himmelreich ist das Wünschen, nicht das Wollen. Hier kommen wir zurück zu der Feststellung, dass sich das Himmelreich nur aus Gnade öffnet. Wer unbedingt hinein will und sich wie die Pharisäer Patentrezepte zurechtlegt, um seinen Willen erfüllt zu bekommen, wird nicht hineinkommen. Wer es sich aber im innersten wünscht und betet “Gott, sei mir Sünder gnädig” und aufbricht und sich auf die Suche macht, es zu erringen, im Bewusstsein, dass nichts selbstverständlich und nichts verbriefter Anspruch ist – der wirds finden. Am Ende entscheidet Laura. Wenn sie das Gefühl hat, überrannt zu werden, wird sie den Verehrer abweisen.