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wundersame SPIEGELungen

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So beginnt der Spiegel-Artikel...

Der Spiegel berichtet, es bestünden Verbindungen zwischen dem Institut St. Philipp Neri und kreuz.net. Das Institut dementiert. Seine Stellungnahme gibt es z.B. hier zu lesen. Dort heißt es unter anderem:

In der Frühzeit der Institutswebsite – damals hatte sich der Charakter von kreuz.net noch nicht voll ausgebildet – gab es für einige Zeit einen formlos vereinbarten Linkaustausch zwischen beiden Webauftritten: Verweist Du auf meine Seite, verweise ich auf Deine Seite. Als dann unübersehbar wurde, daß das Institut und kreuz.net unvereinbare Kurse verfolgten, hat das ISPN den Linkaustausch beendet. Nicht gestern, nicht letztes Jahr, sondern bereits 2007. (…) Schwerpunkt der Institutsarbeit ist es, die Wahrheit des Glaubens und die Schönheit der Tradition herauszustellen. Kreuz.net dagegen lebt davon, daß es Mißstände und Fehlentwicklungen oder das, was es dafür hält, rücksichtslos attackiert und dabei alle Gebote der christlichen Nächstenliebe und des bürgerlichen Anstands missachtet.

Das leuchtet mir ein – nur bei einem Satz war ich stutzig geworden: “damals hatte sich der Charakter von kreuz.net noch nicht voll ausgebildet”. Soweit ich mich zunächst erinnern konnte, war kreuz.net schon immer ein aggressives, engstirniges Portal gewesen. Dass das Institut auf so eine Seite verlinkte, hatte mich schon damals gewundert, noch dazu, wenn mich nicht alles täuscht, mit einem kleinen eingeklammerten t: kreuz.net(t) – wo man diesem Portal doch fast alles vorwerfen kann, bloß nicht, dass es nett sei…

Ich wollte aber meiner Erinnerung nicht bedingungslos trauen und hab mir mal angeschaut, was kreuz.net damals eigentlich genau geschrieben hat. Also habe ich wahllos eine Ergebnisseite von Anfang 2007 angeklickt und gemerkt: der Ton war damals tatsächlich moderater. Ich habe hier jeweils die Artikelüberschriften der aktuell ersten Ergebnisseite und der aktuell 767sten Ergebnisseite (25.-28. Januar 2007) zusammengestellt. Da jeder Artikel über zwei Überschriften – Übertitel und Hauptüberschrift – verfügt, habe ich jeweils die sprachliche schärfere genommen.

Aktuell sieht es wie folgt aus:

Zwei Sodomisten überfallen einen Zwanzigjährigen · Linker Homo-Kampf gegen die Freiheit · kreuzmeldungen · Die Kinder müssen „so früh wie möglich“ versaut werden · Der Papst hat dem Verräter verziehen · Bischöfliche Abtreibungs-Kollaborateure · Geistige Kinderschänder · Notbremse gegen eine Homo-Stellungnahme · kreuzmeldungen · Sogar dem Toten geht der Puls hoch · Wer die Abtreibung rechtfertigt, muß zuerst das eigene Gehirn abtreiben · Einmal Volksverderber, immer Volksverderber · Jetzt reisen die Linken nach Rom · Widerstand gegen die Homo-Hirnwäsche · kreuzmeldungen

Im Januar 2007 klingt es so:

kreuzmeldungen · Staatstrauer um einen Vorzeigepriester · Verfassungsfeindliche Sexualpädagogik · Freigabe der Alten Messe · kreuzmeldungen · Tragische Wahrheit · Pfarreizusammenlegung · Der Bischof geht live · Himmlische Rehabilitierung? · Wem dient der Ökumenismus? · kreuzmeldungen · Ulla Hahn und Botho Strauß distanzieren sich · Gemeinsamer Lehrer im Glauben? · Manager bekehrt · Hetze gegen Engelwerk

Zugegeben, auch das klingt nicht unbedingt nach Qualitätsjournalismus. Aber immerhin finden sich doch eine Reihe recht sachlicher Überschriften.

An dieser Stelle fiel mir dann etwas anderes ein: Auch ich habe damals kreuz.net gelesen. Sogar regelmäßig. Ja, ich gestehe es. Ich war, glaube ich, sogar über den Institutslink dorthingeraten. Auch wenn ich mich sicherlich über viele Formulierungen und Urteile dort auch damals schon geärgert habe: die große Empörung und der sofortige Griff zum Weihwasserbecken fand nicht statt. Erst nach einer Weile – ich schätze so einem halben Jahr – begann mir der aggressive Stil der Website zunehmend auf den Wecker zu fallen. Seitdem habe ich kaum wieder dort vorbeigeschaut. Es begannen sich damals auch die kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit zu mehren. Eine der ersten war David Berger, der am 12. Januar 2006 auf kath.net über den Vulgärtraditionalismus schrieb (der Beitrag ist dort übrigens inzwischen gelöscht) – damals war die Replik, die auf kreuz.net am 24. März 2006 erschien (allerdings ursprünglich für die Una Voce Korrespondenz verfasst wurde), übrigens deutlich besser als die doch reichlich pauschalen Anwürfe Bergers.

Dann griffen auch die Mainstreammedien die Causa auf, und kreuz.net wurde immer mehr zum Outlawforum und radikalisierte sich weiter – wobei man durchaus die Frage stellen kann, was hier Ursache und was Wirkung war.

Und jetzt bringt also der Spiegel kreuz.net in Verbindung mit dem Institut Philipp Neri. Da der Spiegel-Artikel nirgends verlinkt war (hier gibt es übrigens den Anfang), machte ich mich selbst auf die Suche und klickte zum ersten Mal seit langer Zeit Spiegel Online an. Doch oh weh, was musste ich sehen! Spiegel Online schien sich genauso unvorteilhaft entwickelt zu haben wie kreuz.net! Quer über meinen Bildschirm legte sich eine dunkelhaarige Schönheit, darüber der Schriftzug “Die Unwiderstehliche”. Ich dachte zuerst, ich hätte im Browser die Schriftgröße zu groß eingestellt. Aber Command-0 brachte nichts. Wo war gleich nochmal der Weihwasserkübel?

An dieser Stelle fiel mir dann etwas anderes ein: Auch ich habe früher Spiegel Online gelesen. Sogar regelmäßig. Ja, ich gestehe es. Auch wenn ich mich sicherlich über viele Überspitzungen und Banalisierungen dort auch damals schon geärgert habe: die große Empörung fand bei mir nicht statt. Erst nach einer Weile begann mir der boulevardeske Stil der Website zunehmend auf den Wecker zu fallen. Es begannen sich damals auch die kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit zu mehren. Eine der ersten war Stefan Niggemeier, der am 28. Mai 2008 auf seinem Blog über die Entstehung des “NPD-Eklats” schrieb. Dort heißt es unter anderem:

»Spiegel Online« aber ist ein Boulevardmedium. Und das eigentliche Problem daran ist nicht, dass »Spiegel Online« Boulevardgeschichten breiten Raum gibt. Sondern dass »Spiegel Online« auch die anderen Themen nach den Regeln des Boulevard aufbereitet: Meldungen werden zugespitzt, Kleinigkeiten zu Sensationen hochgeschrieben, Themen personalisiert. Die Welt, wie sie ein »Spiegel Online«-Leser erlebt, ist hundertmal aufregender als die Welt, die tagesschau.de präsentiert. Im Minutentakt durchleben hier Politiker, Prominente und Wirtschaftsbosse persönliche Niederlagen und Triumphe; jagen einander Skandale und Eklats, historische Umfragetiefs und verheerende Katastrophen.

Leider ist Spiegel Online seither kein Outlaw-Forum geworden. Ich besuche es trotzdem nicht mehr. Denn ich möchte nicht in den Spiegel schauen und dort das Kreuz sehen. Schon mancher Steinewerfer soll ja, während er aufs Kreuz zielte, nebenbei das fragile Glasobjekt getroffen haben, hinter dem er sich selbst bequem eingerichtet hatte. Und um das zu wissen, brauche ich keinen Spiegel, sondern nur den Volksmund – oder das Evangelium.


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